Dienstag, 16. Juni 2015

Iljas Welt



Das gräulich-gelbe Licht gab die Sicht frei und der Weg wurde. Staubig und kahl schlängelte er sich in eine Weite, die für das Auge nicht fassbar war. Kein Busch, kein Stein am Wegesrand, nur eine deutliche Kontur, hinter der das Nichts begann. Er wusste nicht, wohin der Weg ihn führt, aber es gab keinen Anderen. Er hätte sich gerne umgedreht, um zu sehen, woher er kommt, doch stattdessen machte er einen Schritt nach dem anderen und mit jedem weiteren Schritt sah er das nächste staubige und kahle Stück Weite. Nach einer Weile konnte er neben der deutlichen Kontur einen Umriss erkennen, der sich nach vielen Schritten in die Silhouette eines Baumes verwandelte. Es war ein Apfelbaum von niedrigem Wuchs und mit einer breit gewucherten Krone, der sich in herbstlichen Farben ohne eine einzige Frucht unter dem Gewicht seiner Jahre zu Boden neigte. Eine prachtvolle Erscheinung, umgeben von grauen Staubkörnern gelber Luft. Hinter dem Baum, rechts und links, begannen kleine Hütten, gepflegt und wohnlich eingerichtet, ohne dass auch nur ein Mensch zu sehen wäre. „Mein Haus“, fiel ihm ein, „ich habe den Hund im Obstgarten toben lassen und die Haustür ist nicht abgeschlossen…“. Ja, das Haus, da kam er her. Ein niedriges Steinhaus aus weißen Ziegeln mit spitzem Dach und einer Holztreppe vor dem Eingang, dessen Fenster in Richtung des Weges ausgerichtet sind. Dort nahm alles seinen Anfang. Wohin ging er nur so unerbittlich? Er wusste es nicht; er hatte kein Ziel; alles, was er von sich selbst wusste, war, dass er aus seinem Haus kam, dort an der Küperkoppel. Er wusste noch wie er aufwachte in einem winzigen Zimmer mit einem großen Fenster, alles in kindlich bläulichen Pastelltönen und Plüsch. Er verließ das Bett, um mit dem Hund den Aufgang der Sonne zwischen den zarten Blüten der Apfel- und Kirschbäume zu sehen, aber die Sonne kam nicht, deswegen ist er auf diesem Weg. Deswegen? Er sucht die Sonne entlang eines Staubpfades? Er versuchte nach oben zu sehen, doch in seinem Blickfeld war allein der Weg, der sich, soweit das Auge reichte, zwischen den Häusern dem Horizont entgegen krümmte. Sehnsucht überkam ihn. Warum ist denn niemand zu sehen? Der Apfelbaum, das Einzige, was in der sichtbaren Umgebung Farbe hatte, war entschwunden. Vielleicht würde er noch einen sehen, wenn er nur lange genug weitergeht? Er versuchte sich auf das Fortkommen zu konzentrieren, doch jede Bewegung hörte auf. Er stand still und bewegungsunfähig mitten auf dem staubigen Weg, im Blick die leeren Hütten neben der dunklen Kontur. Sonst nichts…

Ilja öffnete die Augen, richtete sich ein wenig auf und sah sich um: Nein, es gab keinen Hund. Auch keinen Obstgarten. Gab es den Weg?

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